9. Mai 2017
Pointfighting-Kader startet in WM-Jahr
Spielte der deutsche Pointfighting-Kader jahrelang auf internationaler Ebene eine untergeordnete Rolle, wendete sich spätestens im letzten Jahr bei der Europameisterschaft das Blatt rasant. Deutschland schlug auf dem Medaillenspiegel und damit in der Welt in der oberen Region ein. Ein Ausrufezeichen! Und wer Erfolg hat, steht auch unter Druck. Denn Deutschland gehört nun auch zu den Gejagten, schließlich hat man mit Timmy Sarantoudis, Anatoli Kuschnir und Leonard Ademaj drei amtierende Europameister in den eigenen Reihen, die wohl jeder Kämpfer auf seinem Weg zum Weltmeistertitel schlagen möchte. Alle platzierten Kämpferinnen und Kämpfer der vergangenen Euro, und das sind immerhin 14 an der Zahl, dürften bei den Trainern anderer Länder in dessen persönlichen YouTube Playlists eine Platzierung weit oben gefunden haben.
Den Pointfighting-Bundestrainern Frank Feuer und Christian Lohmann dürfte deshalb nach der deutschen Meisterschaft im Juni genau auf die Hände geschaut werden, wie sie ihr Team formieren. Auch sie stehen unter Druck, denn sie haben die Qual der Wahl. Zugegeben sind dies „positive Probleme“, doch die Entscheidungen werden alles andere als leicht. Um sich einen ersten Überblick zu verschaffen, luden die beiden Trainer zum ersten Kadertraining des WM-Jahres nach Niedernhall (Baden-Württemberg) zu einem zweitägigen Lehrgang ein.
Durchgezählt stellte man fest, dass nahezu der komplette Kader und dessen „Erweiterung“ anwesend waren. Eine Verletzung oder eine Landesmeisterschaft machten aber auch vor dem Team keinen Halt und so musste das Team aber in der Summe nur wenige Absagen bzw. verspätete Ankünfte verzeichnen. Am ersten Tag bat Bundestrainer Frank Feuer dann gleich zu vier Einheiten auf die Matte. Ein lockeres Warm Up, Stretching und Basics wie Sidekick, Stoppkick, Backfist etc. sowie eine Kraft/Ausdauer-Einheit gemünzt auf den Sidekick, waren die ersten Bestandteile des ersten Parts. Katharina Flieser, Kämpferin -60 kg, eröffnete den zweiten Part mit einer Einheit Kickbox-Aerobic und Stretching. Im Anschluss ging es ins Technische. Trainiert wurden Distanzen, Winkel, „Angles of attack“, taktisches Verhalten (Situationen/Standards) und auch diverse Variationen Fußfeger. Im Anschluss ging es ins sechs gegen eins, bei dem Konter unter Druck trainiert wurden.
Die dritte Einheit eröffnete Frank Feuer mit Seilziehen. Von hier an warm, aber schon erschöpft, ging es rüber in die Koordination. Der Kader sah sich einem „kilometerlangen“ Netz von Koordinationsleitern gegenüber. Um anschließend den Knoten in Kopf und Beinen zu lösen, beendete der Coach die vorletzte Einheit des Tages mit Sprungkraftübungen.
Im letzten Part des Tages wurde ausnahmslos das Kämpfen trainiert.
Das Abendprogramm gestaltete sich frei. Dennoch wurde abends gemeinsam gegrillt, ein Fußballmeister auf der Playstation gekürt oder ein Gewinner bei diversen Brettspielen ermittelt. Der Team Building-Prozess nahm an Fahrt auf.
In der Einladung zum Kaderlehrgang bat Coach Feuer um das Mitbringen von Laufschuhen. Diese mussten die Teilnehmer auch gleich am Sonntagmorgen bei einem 3-km-Outdoor-Lauf tragen. Der Bundestrainer notierte starke Zeiten. Nachdem das Team warmgelaufen war, durfte es noch sprinten, natürlich mit Widerständen. Da kam der zweite Part des Tages im Anschluss genau richtig, in dem es um das Thema Videoanalyse ging. Hierfür hat Trainer Feuer ein eigens entworfenes Analyseblatt entworfen, mit dessen Hilfe das Team diverse Dinge auswerten und Statistiken führen sollte. So musste das Team auswerten, wie oft gekontert wurde. In welche Richtung bewegt sich der Athlet? Wie oft wurde gekickt? Aber auch, wie oft ist der Kämpfer direkt eingestiegen? Mit den Grundlagen im Rücken wertete man die Zahlen genauer aus. So wurde festgestellt, dass ein Teammitglied 17mal kickte, der Punkterfolg aber ausblieb. Hingegen er neun Mal direkt einstieg und acht Punkte erzielen konnte. Frank Feuer stellte dem Kollektiv auch die Aufgabe festzustellen, aus welchem Geschehen heraus der Kämpfer die Punkte erzielt und welches seine stärkste Technik ist. Mit all den Anregungen entwickelte sich eine anspruchsvolle Diskussion, die ihr Ziel am Ende erreichte: Sicherheit. Dinge zu reflektieren, konstruktive Kritik oder auch Lösungsvorschläge sollen den Pointfightern noch mehr Sicherheit in ihren Aktionen geben und das Bewusstsein um die eigenen Stärken ausbauen. Zu Ende diskutiert, ging es wieder auf die Matte zum Sparring. Als dann jeder glaubte, der Lehrgang sei beendet, wurde die bis dato verschlossene Tasche geöffnet, die vollgepackt mit Gummibändern war. Um die Hüfte gebunden, ging es zur letzten Kraft/Ausdauer-Einheit an den Sandsack. Am frühen Nachmittag verabschiedete sich das Team endgültig vom ersten Kadertraining der Saison. Festzuhalten ist, dass die Bundestrainer aus dem Vollen schöpfen können. Über die Motivation der Sportler eine erfolgreiche Weltmeisterschaft zu kämpfen, müssen sie sich keine Sorgen machen. Ein kleines Beispiel soll dies verdeutlichen. So setzte sich ein Sportler um Mitternacht in den Reisebus, fuhr vier Stunden in die falsche Himmelsrichtung, um im Norden der Republik angekommen, die sechseinhalbstündige Reise nach Baden-Württemberg anzutreten. Und scheint die erste Reihe nicht schon erfolgreich genug, drängt sich auch schon die zweite Reihe auf. Die Junioren machen mit Druck auf sich aufmerksam. Aber auch Kämpfer, die bis dato nicht zum Kader gehörten, reisten mit Siegen und Platzierungen bei World Cups und Siegen bei den German Open im Rucksack an. Eine komfortable Situation für die Leitung des Bundeskaders, nach der sich wohl so mancher Trainer sehnen würde.
Text: Lars Eckhoff